Heute feiert Chaim Bar-Tikvar in Haifa seinen 90. Geburtstag
Der letzte noch lebende ehemalige jüdische Einwohner Norderneys
Am heutigen Montag feiert in der Hafenstadt Haifa/Israel Chaim Bar-Tikva seinen 90. Geburtstag. Unter dem Namen Heinz Hoffmann verbrachte er bis 1933 seine Kindheits- und Jugendjahre auf Norderney und emigrierte 1936 nach Palästina. Die Erinnerung an die Insel hat er sich bewahrt, wie auch Kontakte zu ehemaligen Weggefährten, aber auch jüngeren Einwohnern, gepflegt werden. Chaim Bar-Tikva ist der letzte noch lebende jüdische Einwohner Norderneys, dem es immer ein besonderes Anliegen war, dass die Erinnerung an jüdisches Leben auf der Insel bewahrt bleibt. Daraus ergab sich ein enger Gedankenaustausch mit der Stadt Norderney. Bürgermeister Ludwig Salverius hat Chaim Bar-Tikva in einem Brief die herzlichen Glückwünsche der Stadt Norderney übermittelt und ihn für die Unterstützung bei der Erinnerungskultur - wie sie durch Gedenktafeln, Buchveröffentlichungen und Ausstellungen zum Ausdruck kommt - gedankt.
Heinz Hoffmann wurde am 6. November 1916 in Schreiberhau, einem kleinen Kurort im Riesengebirge/Schlesien, geboren. Er war der erste Sohn von Julius Hoffmann, der aus Elberfeld stammte, und mit Clara Richter aus Leipzig verheiratet war. Als zweites Kind wurde 1918 die Tochter Anni geboren. Die Großeltern von Heinz Hoffmann, Heinrich und Helene Hoffmann, geb. Falk, die zunächst in Elberfeld eine Gastwirtschaft mit Hotel betrieben, waren 1894 mit ihren fünf Kindern nach Norderney verzogen. Sie kauften das 1888 von Moses von der Wall erbaute Wohnhaus in der Bismarckstraße 4, und führten unter dem Namen "Hotel Falk" darin eine Pension mit Restaurant. Noch vor 1905 ließ Heinrich Hoffmann das Haus abreißen und erbaute an gleicher Stelle einen großen Hotelkomplex, der mit 80 Zimmern ausgestattet war. "Hoffmann's Hotel Falk" - so der neue Name - pries sich als "Haus ersten Ranges", wozu auf der Insel auch der "Kaiserhof", der "Europäische Hof", das Hotel "Germania", "Schuchardts Hotel" sowie "Richters Hotel" gehörten.
Von jüdischen Badegästen bevorzugt, gehörte Hoffmann's Hotel Falk zu den größten und bekanntesten jüdischen Beherbergungsbetrieben an der deutschen Nordseeküste - zugleich das einzige, welches unter Rabbinats Aufsicht stand. In einer "eigenen Wurstlerei mit Kraftbetrieb" wurden koschere Wurst- und Aufschnittwaren, dazu auch Konditorware, hergestellt und vertrieben. Heinrich Hoffmann verstarb im Mai 1916 auf Norderney, seine Frau Helene 1922 in Essen.
Nach den Recherchen von Ingeborg Pauluhn (Zur Geschichte der Juden auf Norderney, Oldenburg 2003) war Sohn Julius während der Sommermonate im elterlichen Haus auf Norderney ansässig und während der Wintermonate als Geschäftsmann auf dem Festland tätig. 1921 zogen Julius und Clara Hoffmann mit ihren Kindern Heinz und Anni von Schreiberhau/Schlesien nach Norderney in die Gartenstraße 22a. Die schmucke Villa, in der sich über viele Jahre auch der Norderneyer Kindergarten befand, Steht noch heute.
Anders dagegen das ehemals luxuriöse Hoffmann's Hotel Falk, nach dem Krieg als "Düsseldorfer Hof" betrieben, welches zu einer Bauruine verkommen ist und in dessen Etagen sich Algen und Moos breit gemacht haben. Nur historische Aufnahmen zeugen von der der vergangenen Pracht des Hauses und vom Wohlstand seiner Besitzer. Besonders in der Vergänglichkeit dieses Gebäudes offenbart sich auch die vergangene, zerstörte jüdische Kultur auf Norderney, von dessen unheilvollen Ausgang zu Beginn der 1920er Jahre noch nichts zu spüren war. Inhaber des Hotels waren ab 1923 die Geschwister Julius, Fritz und Johanne Hoff-mann, verheiratete Hergershausen.
Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg wirken sich besonders auch auf den Fremdenverkehr aus, jedoch ein großer Teil der vormaligen Gäste bleibt dem Hotel und der Insel treu.
Nach einem Aufschwung in den "Goldenen Zwanzigern" änderten sich mit der Weltwirtschaftskrise (1929) die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse.
Mit dem "Börsenkrach" stürzten die Aktien- und Geldkurse, viele Firmen liquidierten, die Arbeitslosigkeit stieg im Deutschen Reich bis Oktober 1932 auf 7,5 Mio. an. Die in diesen Jahren wechselnden Regierungen hatten ihren Spielraum verloren, die Radikalität nahm zu, die NSDAP erhielt großen Zulauf.
Auf Norderney sank die Zahl der Gäste von 38.000 (1927) auf 21.000 (1933), wodurch sich auch auf der Insel die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten und wovon auch das Hotel von Julius Hoffmann betroffen war. Die Schulden nahmen zu.
Die Aussicht auf eine Verbesserung der Situation schwand, nachdem durch die Wahl Hitlers zum Reichskanzler, die zunächst wenig ernsthaft wahrgenommene Rassenideologie der Nationalsozialisten in die Tat umgesetzt wurde.
Während in den zurückliegenden Jahren auf Norderney kaum Spuren von öffentlich geäußertem Antisemitismus festzustellen sind, das Seebad von nationalistischen Kreisen als "Judenbad" bezeichnet wurde, begann nach 1933 die Ausgrenzung der jüdischen Einwohner. Jüdische Badegäste waren nicht mehr willkommen, die Synagoge in der Schmiedestraße (heute Restaurant "Leckerbeck"), die von Julius Hoffmann verwaltet wurde, musste schließen. 1934 verstärkte sich die Agitation gegen die Juden. Die Badebetriebsgesellschaft wies mit Anzeigen in jüdischen Zeitungen daraufhin, dass jüdische Badegäste auf Norderney unerwünscht sind.
Julius Hoffmann war ein bewusster Jude. Im öffentlichen Leben Norderneys spielte er eine wichtige Rolle. Er war erster Vorsitzende des "Vereins Norderneyer Gastwirte e.V." und des Hotelbesitzerverbandes, Mitglied der Handelskammer in Emden sowie des Aufsichtsrat, der Bäderbetriebsgesellschaft. Diese Ämter musste er 1933 niederlegen.
Die Familie Hoffmann verließ 1933 die Insel und zog zunächst nach Leipzig. Julius und Clara Hoffmann gingen Anfang 1936 nach Palermo, wurden zeitweise in Italien interniert, und erreichten im Juni 1944 über Ägypten Palästina. Clara Hoffmann starb kurz darauf, während Julius Hoffmann bis 1972 in Haifa lebte. Beide sind dort bestattet. Ihre Tochter Anni wanderte in die USA aus.
Der 17-jährige Heinz begann nach dem Verlassen der Insel in Leipzig eine Lehre in der Pelzbranche. Angesichts der zunehmenden Ausgrenzung von Juden in Deutschland - im Land, das ihm Heimat war - entschloss er sich zur Emigration; ging 1936 zunächst nach Dänemark, und erreichte 1939 über Holland und Italien illegal Palästina.
Heinz Hoffmann nahm dort den Namen Bar-Tikva an, was die hebräische Übersetzung seines Nachnamens ist. Auf Norderney aufgewachsen, blieb er dem Meer verbunden, indem er dreißig Jahre bei der nationalen israelischen Schifffahrtsgesellschaft (ZIM) beschäftig war. Er interessiert sich für Geschichte und Schifffahrt, hat ein Buch darüber geschrieben und verfasst auch heute noch verschiedene Beiträge für Zeitungen. Frau Ingeborg Pauluhn hat ihn im Rahmen einer Studienreise nach Israel im Oktober 2004 besucht. Im hohen Alter noch in bewundernswerter körperlicher und geistiger Verfassung, höflich und liebenswürdig - so ihr Eindruck von der Begegnung mit Chaim Bar-Tikva, der mit seiner Frau seit Jahren im "Parents & Old-Age Home Sinai" in Haifa lebt.
Norderney ist ihm in guter Erinnerung geblieben. Die Bilder aus den frühen Jahren seines Lebens sind noch nicht verblasst - die Zeit in der Mittelschule, die Freischwimmerprüfung am Weststrand mit Lehrer Wellhausen, der Tanzunterricht im Hotel Pique sowie vergnügte Stunden im "Roten Teppich" (ehemalige Strandhallen).
Chaim Bar-Tikva, der als Heinz Hoffmann gezwungenermaßen sein Leben anders einrichten musste und der mit dem Terror und Massenmord an seinem Volk konfrontiert wurde, er ist darüber nicht verbittert, sondern hat die Verbindung zu früheren Weggefährten auf der Insel gesucht und steht auch heute noch mit jüngeren Einwohnern in Briefkontakt
Als letzter Überlebender jüdischer Einwohner Norderneys ist es ihm ein besonderes Anliegen, dass die Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Mitbewohner der Insel bewahrt bleibt. In Abstimmung mit ihm hat die Stadt Norderney 1988 eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Pogromnacht im November 1938 anbringen lassen, ebenso an der ehemaligen Synagoge. Im Zusammenhang mit verschiedenen Veröffentlichungen zur Geschichte der Juden auf Norderney war Chaim BarTikva ein wichtiger Ratgeber.
Für diese Unterstützung und Zusammenarbeit hat ihn Bürgermeister Ludwig Salverius den Dank der Stadt Norderney übermittelt. "Auch dieser Dialog hat dazu beigetragen, dass sich mit Ihrer Hilfe eine Erinnerungskultur an jüdische Mitbürger der Insel entwickelt hat, wozu wir uns verpflichtet fühlen", so Bürgermeister Salverius in seinem Glückwunschschreiben.
Vom Stadtarchiv wird in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Museum Nordseeheilbad Norderney e.V. zur Zeit eine Ausstellung vorbereitet, die unter dem Titel "Juden auf Norderney - eine Spurensuche" ab dem 16. Dezember im "bade-museum" gezeigt wird. Diese Ausstellung ist Chaim Bar-Tikva gewidmet, wozu auch der heutige 90. Geburtstag einen besonderen Anlass gibt.
Mögen ihm noch viele Jahre im Kreise seiner Familie beschieden sein.
Hoffmann's Hotel Falk, Bismarckstraße 4, um 1930. - Die Geschichte der Familie Hoffmann ist zugleich ein Spiegelbild jüdischer Kultur und jüdischen Wirtschaftlebens auf Norderney. Sie zeugt von den Leistungen, die Juden zur Entwicklung des Nordseebades beigetragen haben.
Download Bericht der Norderneyer Badezeitung vom 06.11.2006
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