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Chronik einer Insel
Insel Norderney

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Teil 1

Ostfriesischer Kurier und NBZ (Serie erschien vom 18.11.2017 - 23.12.2017)

Unvergessene Katastrophe an der Nordseeküste

Am Nachmittag des 24. Dezember 1717 drehte der Wind der bis dahin kräftig aus Südwest geweht hatte, auf West/ Nordwest, nahm in den folgenden Stunden an Heftigkeit zu, flaute aber am späten Abend wieder etwas ab. Die Bewohner der Küstengebiete an der Nordsee zwischen den Niederlanden im Westen und Dänemark im Nordosten sahen keine Gefahr und legten sich beruhigt schlafen. Zumeist in häuslicher Gemeinschaft hatten sie sich auf das Weihnachtsfest und die Morgengottesdienste am ersten Feiertag vorbereitet.

Doch mitten in der Heiligen Nacht, etwa gegen ein Uhr, raste plötzlich ein schwerer Nordweststurm über Land und Meer und entwickelte sich mit unheimlicher Geschwindigkeit zu einem Orkan, der sich einige Stunden lang austobte und eine folgenschwere Katastrophe auslöste. Allein in Ostfriesland kam es in kurzer Zeit zu 40 Deichbrüchen und sich rasch ausdehnenden Überschwemmungen weiter Landstriche bis an den Geestrand, an einigen Stellen sogar darüber hinaus. Weithin war das Land bis zu einer Höhe von fast fünf Metern überflutet; in Suurhusen lag die Messmarke bei 4,99 Meter über Normalnull. In vielen Häusern Ostfrieslands stand das Wasser zwei bis drei Meter hoch.

Die Südwest-Wetterlage der voraufgegangenen Tage hatte große Wasermassen durch den Ärmelkanal in die Nordsee strömen lassen. Das unerwartet von Nordwesten aufkommende Orkantief drückte sie in der Christnacht mit unvorstellbarer Wucht gegen die noch niedrigen, kaum stabilen Deiche, die der Naturgewalt nicht standhalten konnten. Obwohl das normale Hochwasser erst am Morgen des Weihnachtstages erwartet wurde, überspülten die Fluten bereits ab zwei Uhr nachts die ersten Deiche an der ostfriesischen und oldenburgischen Küste und versetzten die Menschen in Angst, Verzweiflung und Panik.

"Mit reißender Schnelligkeit ergoss sich das wildtobende Wasser in die weiten, offenen Ebenen, sodass in kurzer Zeit alles ringsumher einer aufgeregten See glich", schrieb später der ostfriesische Geograf und Historiker Friedrich Arends in einer der eindrucksvollsten Schilderungen, aus der auch heutenochimmerwieder zitiert wird:

"Aus dem ersten tiefen Schlaf wurden die sorglosen Bewohner mitten in der finsteren Nacht aufgeweckt durch das Heulen des rasenden Sturmes, das Rollen des Donners, das Getöse der einbrechenden Wogen ...Hier hatten Menschen die Dächer der Häuser, dort aus dem Wasser herausragende Balken oder Bäume erklettert, manche im bloßen Hemde. Schaudernd vor Kälte mussten sie ohne Nahrung nicht stunden- , nein tagelang ausharren. Mattigkeit und Kälte schwächte endlich die erstarrten Glieder, bis sie in die Tiefe sanken. Ihr Hülfegeschrei war verhallt unter dem donnerartigen Brausen des Sturms und der Wogen. Das Schicksal derer, die sich auf die Böden gerettet hatten, war wenig besser. Ohne Feuer, ohne Lebensmittel ... mussten sie ausharren in den kalten Winternächten, ohne Trinkwasser mitten im Wasser quälenden Durst leiden ....

"Strafgericht Gottes"

"Schrecklich", so Arends, "war der Anblick des Landes nach dem Abzug des Wassers. Fast überall fand man auf den Feldern Leichen. Hier sah man Mütter, welche noch im Tode das Kind umklammert hielten, dort vor Kälte erstarrte Menschen in den Bäumen hängen, andere in verschlammten Gräben stecken." Viele Zeitgenossen, vor allem Geistliche, allen voran der pietistische Wittmunder Theologe Hieronymus Brückner, sahen in den schrecklichen Szenen ein "Strafgericht", mit dem Gott gegen die sündhaften Marschbewohner vorgehe. Durch sogenannte Wasserpredigten wurden die Menschen an den folgenden Tagen zu Einkehr und Buße aufgefordert.

Über die Höhe der Verluste und Schäden hat es in den vergangenen 300 Jahren seit der Flutkatastrophe ganz unterschiedliche, daher auch widersprüchliche und häufig auch spektakulär aufgebauschte Angaben gegeben.

1992 veröffentlichte der Göttinger Historiker Manfred Jakubowski-Tiessen eine umfangreiche Abhandlung zum Thema, in deren Rahmen er überlieferte behördliche Aufzeichnungen und verlässliche Unterlagen auswertete und miteinander verglich. Danach ermittelte er in den deutschen Küstenländern eine Gesamtzahl von etwa 9.000 Menschen, die in den Fluten ertranken. In den benachbarten Niederlanden waren rund 2.300 Tote zu beklagen. Allerdings, so der Autor, sei zu berücksichtigen, dass in den Monaten nach der Flut noch viele aus dem Wasser gerettete Menschen starben, die sich von den Strapazen und erlittenen Qualen nicht erholten. Nachfolgende Hungersnöte und Epidemien hätten weitere Opfer gefordert.

In seinem 2014 erschienenen Band "Ostfriesland - Die Geschichte seiner Landschaft und ihrer Besiedlung" schreibt der Historiker und Küstenforscher Karl-Ernst Behre, dass nach heutigem Kenntnisstand in Ostfriesland 2787 und im angrenzenden Jeverland 1669 Menschen in der Weihnachtsflut ihr Leben lassen mussten. An Vieh kamen im ostfriesichen Bereich 25.197 und im jeverländischen 7.228 Stück um, davon waren 60 Prozent Rinder. Ferner sollen allein in Ostfriesland etwa 900 Häuser weggespült und 1.800 stark beschädigt worden sein. Die Naturkatastrophe, der in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1718 eine weitere schwere Sturmflut folgte, führte zu einem spürbaren wirtschaftlichen Niedergang und zu Armut, weil viele Menschen ihr Hab und Gut verloren hatten.

Der Kupferstich

Über das räumliche Ausmaß der Überflutungengibt es ebenfalls unterschiedliche Aussagen. Bereits 1718, ein Jahr nach dem Ereignis, gab der Nürnberger Verleger Johann Baptist Homann eine farbige Karte mit einem Kupferstich unter dem barocken Titel "Geographische Vorstellung der jämmerlichen Wasser-Flutt in Nieder-Teutschland heraus. Eine dunkle Kolorierung kennzeichnet die weiträumigen Landstriche, die in der Weihnachtsnacht 1717 überflutet wurden.

Zu den Autoren, die das Blatt später wissenschaftlich unter die Lupe nahmen, zählt auch der in den 1960er-Jahren auf Juist lebende Kartenhistoriker Arend Lang. Im Einklang mit anderen Experten lobte er einerseits die herausragende künstlerische Komposition, bezeichnete das Werk aber andererseits "als eine wenig sorgfältige Kopie älterer, längst bekannter Vorlagen" und prangerte zugleich starke Verzeichnungen des Raumes zwischen Dollart und Jade sowie verstümmelte Namen an. Dennoch sei es dem Kartenautor trotz der mangelhaften Richtigkeit der überschwemmt markierten Gebiete gelungen, im Großen und Ganzen "eine bildhafte Darstellung der Sturmflutkatastrophe an der Nordsee zu bieten". Lang korrigierte zwar auf einer eigenen Skizze die Überflutungsgrenzen, nannte dafür aber keine Quellen.

2005 veröffentlichte Dietrich Hagen (Lehrstuhl für Physische Geografie und Kartografie an der Universität Oldenburg) unter demTitel "Die jämmerliche Flut von 1717" die Ergebnisse seiner gründlichen Untersuchungen zur Karte von Homann. Auch er stellt einige Unrichtigkeiten fest und verweist auf das Fehlen der Inseln Juist und des ehemaligen Eilandes Bant. Außerdem habe der Nürnberger Autor der Wasserflutkarte auch die jeverländisch- ostfriesische Geest als Überschwemmungsgebiet erfasst; dieser Bereich sei aber nachweislich trocken geblieben. Mit 18.140 sei die von Homann genannte Zahl der ertrunkenen Menschen nach heutiger Kenntnis bei Weitem zu hoch gegriffen.

Dennoch kommt der Oldenburger Wissenschaftler zu einer überraschenden Neuinterpretation des ungewöhnlichen Blattes. Homann, so schreibt er, wollte seine Zeitgenossen mithilfe des reichhaltig beigefügten Bildwerks bishin zu Darstellungen aus der antiken Götterwelt und einem Zitat des römischen Dichters Orvid nicht nur informieren, sondern im Sinne der Aufklärung auch belehren und Botschaften vermitteln. Eine davon lautet: Obwohl die Natur das Lebenzuweilen bis zur Auslöschung bedroht, nimmt der Mensch - hier am Beispiel der Flutkatastrophe - die Herausforderung mit dem Deichbau sowie der Konstruktion von Sielen und Schöpfwerken an und sucht sie zu meistern. Hagen: "Wenn er auch den Schöpfer als den ersten Beweger alles Bewegten anerkennt, verläuft die Natur offensichtlich nach Gesetzen jenseits menschlichen Einflusses, auch jenseits von Frömmigkeit und religiösem Gehorsam." Auf Zeichnungen am unteren Rand der Karte stellt Homann einen Deichbruch sowie ein Schöpfwerk (Wassermühle) und ein Siel als Beispiele "menschlicher Erfindungskraft" dar.

Bis heute ist die Weihnachtsflut von 1717 ein bewegendes Kapitel der norddeutschen, vor allem auch der ostfriesischen Landesgeschichte. Überlieferte Augenzeugenberichte und Beschreibungen von Historikern halten die Erinnerung wach.

Flutkatastrophe: Wandmalerei von Heinrich v. Dörnberg im Heim des Dichters Hermann Allmers in Rechtenfleth/Unterweser.

Flutkatastrophe: Wandmalerei von Heinrich v. Dörnberg im Heim des Dichters Hermann Allmers in Rechtenfleth/Unterweser.

Weihnachtsflut von 1717

Ein Jahr nach der Weihnachtsflut von 1717 gab Johann Baptist Homann in Nürnberg diese mit vielen Informationen komponierte Karteheraus. Sie verdeutlichte - wenn auch stellenweise verzerrt und ungenau - den Zeitgenossen außerhalb der Küstenländer das (dunkel gezeichnete) Ausmaß der Naturkatastrophe von den Niederlanden bis Dänemark.


Weihnachtsflutkarte von Homann mit den Überflutungsgebieten

Trotz einiger Irrtümer und Fehler immer noch ein Anschauungsobjekt: Ausschnitt aus der Weihnachtsflutkarte von Homann mit den Überflutungsgebieten (dunkel) zwischen Ems und Jade (1718).


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