--> https://www.norderney-chronik.de/themen/insel-stadt/presse/nbz/wbk/1950/seite_005.html

NorderneySeiten-Ende

53° 42' 26" N 7° 8' 49 Flagge der Insel
Chronik einer Insel
Insel Norderney

Das Jahr 1398Das Jahr 1797Das Jahr 1849Das Jahr 1862Das Jahr 1873Das Jahr 1948Das aktuelle JahrHilfe/Info

Insel/Stadt | Bilder/Prospekte | Daten/Fakten | Kunst/Kultur

Chronik der Insel | Betriebe und Einrichtungen | Insel und Küste | Insel und Stadt Historisch | Küstenschutz | Presse | Vereine

Norderneyer Badezeitung | Norderney Kurier

Seite Presse | Norderneyer Badezeitung | Sonderausgaben | Badekuriere: Frühjahrsausgaben | Sonderausgaben | Weihnachtsausgaben | 1950-1959 | 1960-1969 | 1970-1979 | 1980-1989 | 1990-1999 | 2000-2003

Seite zurückÜbersichtnächste SeiteFenster schliessen
Weihnachtsausgabe Badekurier 1950
 
Seite 5

Seeklima und allergische Erkrankungen

Von Dr. med. Horst Winkler, Norderney

Eine bestimmte Gruppe von Erkrankungen, von denen man schon lange durch Erfahrung weiß, daß sie durch eine Kur an der See günstig beeinflußt werden, beansprucht in der heutigen Zeit ein erhöhtes Interesse, da diese anscheinend an Häufigkeit zugenommen haben.

Es handelt sich um die sogenannten allergischen Krankheiten, oder besser gesagt, um die Bereitschaft zu allergischen Erkrankungen. Sie beruht auf einer gesteigerten Reizbarkeit gegenüber körperfremden Spurenstoffen (Allergenen), die vor allem auf der Haut oder den Schleimhäuten der Luftwege charakteristische Gesundheitsstörungen hervorruft. Dabei spielt die erhöhte Erregbarkeit eines Teiles des Lebensnervensystemes - der Vagusnervengruppe - eine wichtige Rolle. Typische Beispiele hierfür sind das Bronchialasthma, das Heufieber, manche chronischen Nasen- und Nebenhöhlenentzündungen, stark juckende Hauterkrankungen wie das Nesselfieber, bestimmte Arten von Hautekzemen, usw.

Man kennt eine große Anzahl von Stoffen, die als Allergene wirksam werden können. Wenn man sie nach der Art ihrer "Einverleibung" einteilt, erhält man folgende Zusammenstellung: Manche Nahrungsmittel (z. B. Hühnereiweiß, Krebse, Erdbeeren) und gewisse Medikamente, sodann Stoffe, die über die Atemwege aufgenommen werden (z. B. Blütenstaub der Gräser, Hausstaub, Industriestaub und stark verunreinigte Luft in den Großstädten), und schließlich Stoffe, die durch Kontakt mit der Haut wirksam werden (z. B. manche Blumen- und Pflanzenarten).

Nicht alle Menschen neigen zu allergischen Krankheiten. Die Anlage hierzu ist in der gesamten Konstitution begründet. Es gibt ganze Allergiker-Familien. Außerdem sind aber eine Reihe von Umständen bekannt, die zusätzlich eine erhöhte Bereitschaft für die Auslösung dieser Art von Erkrankungen schaffen. Als Beispiele seien genannt: seelische Belastungen, chronische Eiterherde an Zähnen und Mandeln, eitrige Entzündungen der Luftwege, Hormonstörungen bestimmter Lebensalter u. a. mehr. (Sie sollten vor Antritt einer Kur nach Möglichkeit erkannt und ausgeschaltet werden). Ein kleinerer Prozentsatz aller Asthmafälle wird als rein nervös bedingt angesehen.

Man nimmt heute als ziemlich sicher an, daß auch manche Wetterlagen über eine Beeinflussung des Lebensnervensystems das Auftreten der allergischen Erscheinungen begünstigen.

Die Ueberempfindlichkeit besteht entweder nur gegen einzelne Allergene, etwa nur gegen ganz bestimmte Grüserpoßen, meistens aber gegen eine große Zahl von Spurenstoffen der gewohnten Umgebung und des gewohnten Klimas. Es ist möglich, durch Testimpfungen festzustellen, gegen welche Stoffe oder Stoffgruppen Ueberempfindlichkeit vorhanden ist. Sie ist für den Betreffenden kennzeichnend; denn sie beruht darauf, daß in seinem Organismus im Laufe der Zeit Gegenstoffe (Antigene) gebildet wurden. Der Körper ist damit in ganz bestimmter Richtung "sensibilisiert", überempfindlich geworden. Kommt es nun zu einer wiederholten Aufnahme dieser Allergene, so werden bei Zusammentreffen mit den dazugehörigen Gegenstoffen in den befallenen Organen bestimmte Gewebshormone vermehrt gebildet, die die örtlichen Entzündungen an Haut und Schleimhäuten hervorrufen und z. B. im Falle des Bronchialasthma über eine Erregung der bereite oben erwähnten Vagusnerven den typischen Bronchialmuskelkrampf und damit die bekannte Atemnot verursachen.

Aufgrund dieser Anschauungen kann man sich nun bestimmte Vorstellungen über die möglichen Heilmaßnahmen machen. Die einfachste und naheliegendste Forderung ist es, die Berührung mit den - sei es durch Erfahrung oder Testimpfungen - als schuldig erkannten Stoffen zu vermeiden. So ist schon mancher Asthmatiker von nächtlichen Anfällen befreit worden, wenn er seine Federdecke gegen eine Wolldecke austauschte, und der Heufieberkranke blieb frei von seinen Beschwerden, wenn er z. Zt. der Gräserblüte eine Nordsee-Insel aufsuchte, oder ein anderer Kranker verlor sein Ekzem nach einem Berufswechsel. Ein anderer Weg besteht darin, durch Einspritzen einer immer stärkeren Lösung des fraglichen Allergene eine Abstumpfung zu erzielen. Er hat nur bei den einfacher gelagerten Füllen wie etwa dem Heufieber Erfolg.

Meist ist aber die Ueberempfindlichkeit gegen zahlreiche Spurenstoffe so umfassend, daß in der gewohnten Umgebung mit den verschiedenartigen Arzneimitteln und Behandlungsmethodm nur eine Behebung oder Linderung des akuten Krankheitstandes erreichbar ist. Den besten Erfolg hat dann immer noch ein radikaler "Luftwechsel".

Das zu erstrebende Ziel kann aber nicht nur eine Befreiung von akuten Beschwerden, sondern muß eine Herabsetzung der Krankheitsbereitschaft, eine allgemeine Umstimmung sein. Eine planmäßig, evtl. wiederholt durchgeführte Kur auf Norderney bietet hierfür die besten Voraussetzungen. Die bekannte Reizwirkung des Seeklimas hat zunächst einen tiefgreifenden Einfluß auf den Stoffwechsel, und hier besonders auf die Verwertung der Eiweißkörper in den Nahrungsmitteln. Aus verschiedenen Untersuchungen ist außerdem bekannt, daß durch die eigentümlichen Abkühlungsreize du Seewindes und der Seebäder das Gleichgewicht zwischen den Vagusnerven und seinem Gegenspieler, dem Sympathikus, wiederhergestellt wird, das ja, wie wir sahen, im Asthmaanfall so schwer gestört ist. Das Gefühl des leichten und befreiten Atmens in der Nähe des Strandes, des sich wie von selbst weitenden Brustkorbes beruht wahrscheinlich auf dieser Reizung des sympathischen Nervengeflechtes. Auch die rasche Abheilung eines bestimmten Hautekzems, der "Neurodermitis", wird neben der Armut der Meeresluft an Reizstoffen auf diese Beeinflussung der Lebensnerven zurückgeführt. Gerade bei diesem Leiden werden durch Kuren an der See Erfolge erzielt, die bisher mit keiner anderen Maßnahme möglich sind. Als Beweis für die allgemeine Umstimmung und Verminderung der Krankheitsbereitschaft wird immer wieder die Beobachtung gemacht, daß im Verlaufe einer Kur die Ueberempfindlichkeit gegen manche Eiweißarten verschwindet.

So angenehm es für viele Asthma-Kranke ist, wem sie bereits in den ersten Tagen ihres Inselaufenthaltes frei von Anfällen sind, so gibt es andererseits auch manche, die anfangs eine Unterstützung durch Medikamente benötigen, sei es, daß sie sich gleich zu Anfang "übernommen" haben oder daß sie allgemeine Anpassungsschwierigkeiten zu überstehen haben. Zuweilen kann es auch erforderlich sein, andere Behandlungsverfahren, wie z. B. Penicillininhalationen mit heranzuziehen. Die Meerwasser-Trinkkur mit ihrem reichhaltigen natürlichen Angebot der verschiedenen Mineralsalze bildet einen wichtigen Teil der allgemeinen Umstimmungsbehandlung; denn die normale Funktion des Lebens-Nervemystems ist auch von der biologisch richtigen Zusammensetzung der Mineralstoffe in den Gewebssäften abhängig.

Man kann hier an der See gerade an den sonnenreichen Sommertagen gar nicht so selten beobachten, daß in dem doch als so heilsam gepriesenen Seeklima im wahrsten Sinne des Worten am: "heiterem Himmel" ein erneuter Asthmaanfall oder eia frischer Ekzemausbruch auftritt. Die von den Sommergästen ersehnten "Strahlungstage" mit ungetrübt blauem Himmel sind meist mit trockenen Ostwinden verbunden, die aus dem Innern des Kontinents Spurenstoffe und Klima-Allergene heranbringen. Außerdem ist bekannt, daß bei länger ausgedehnten Sonnenbädern gleichfalls "vagurerregende" Gewebehormone gebildet werden. Von an der See erfahrenen Aerzten wird deshalb gerade für die hier besprochenen Erkrankungen die bessere und besonders nachhaltige Wirkung der strahlungsärmeren Monate im Spätherbst und Winter mit ihren vorwiegend ozeanisch bestimmten Wetterlagen hervorgehoben.


NBZ - Weihnachtsbadekurier 1950 Hilfe/Info Logo der Chronik © 2002-2024 H.-H. Barty Seitenanfang