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Weihnachtsausgabe Badekurier 1950
 
Seite 6

Menschen zwischen gesund und krank

Von Dr. med. Hans-Adolf Hänsche, Facharzt für innere Krankheiten, Seehospiz Norderney

Hört man heute ältere Leute erzählen und läßt die Schilderung der Verhältnisse vor dem ersten Weltkrieg auf eich einwirken, so kommt man oft auf den Gedanken, die Zeit um die Jahrhundertwende als das goldene Zeitalter betrachten. In satter Ruhe lebten die Menschen dahin, ruhig gingen sie ihren Geschäften nach. Regelmäßig gönnten sie ihrem Körper eine Erholungszeit. Selbst dem ärmeren Teil der Bevölkerung wurde durch soziale Gesetzgebung und Maßnahmen geholfen, wenn er ernstlich in Not geriet.

Ein halbes Jahrhundert später hat sich das Bild grundlegend geändert. Kriege, Hunger, Erschütterungen der Wirtschaft, der Verlust der Heimat oder der Heimstätte, jahrelange Gefangenschaft, beispielloses Elend durch Wohnungsnot, schlechte Kleidung weil mangelhafte Körperpflege, Arbeitslosigkeit und der Verlust der letzten Spargroschen, sie alle haben ein Menschenantlitz geformt, in das der deutsche Arzt nur mit Sorgen hineinblickt. Sein Blick wird auch nicht froher, wenn er die Kinder ansieht. Auch dort sind in der Mehrzahl der Fälle die Spuren der letzten Jahre zu sehen. Unterernährung, Blutarmut, Nervosität, Asthma, Hauterkrankungen und Stoffwechselstörungen sind an der Tagesordnung. Tuberkulose und Krebs, Rheumatismus, Herz- und Kreislauferkrankungen sind bei den Erwachsenen Volkskrankheiten geworden, gegen die das Volk einen verzweifelten Kampf aufgenommen hat. Immer noch steigen die Zahlen der gemeldeten Erkrankungen. Die Krankenhäuser sind überfüllt, Heilstätten sind zu wenig vorhanden. Die Heilbäder aber werden oft nicht genügend ausgenutzt, weil dem Einzelmenschen oder aber dem Träger der Sozialversicherung das Geld zur Belegung fehlt.

UntesuchungMit steigender Sorge aber stellen die Aerzte fest, daß ein nicht mehr die Krankheiten sind, die eine bleibende Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten, sondern die immer größer werdende Krankheitsbereitschaft, die zu beseitigen nicht nur fachlich schwierig ist, sondern die auch große Mittel erfordert, die aufzubringen, Kassen und Versicherungsanstalten kaum in der Lage sind.

Wir wollen doch einmal ehrlich sein. Welche Kasse kann bedingungslos die Kosten für eine Zahnbehandlung bewilligen, und welcher Zahnbehandler ist mit den gewährten Beiträgen wirklich ausgekommen? So ließen sich viele Beispiele anführen. Die Folge davon wird sein, daß halbe Maßnahmen auch keinen bleibenden Erfolg zeitigen werden. Sicherlich wird der eine oder, der andere jetzt fragen, ob das denn so wichtig sei. Es genügt doch, daß er behandelt wird, wenn er ernstlich krank ist. Das mag für den Augenblick Geltung haben, läßt sich aber vom Standpunkt der weiterdenkenden Aerzte nicht verantworten. Die Hauptaufgabe der Aerzte wird immer sein, Krankheiten zu behandeln und zu heilen. Eine ebenso große Aufgabe, ja Pflicht ist es, Krankheiten zu verhüten. Es darf erst gar nicht dazu kommen, daß der Großteil der Bevölkerung zwangsläufig einer sogenannten Volkskrankheit mm Opfer fällt.

In den früheren Jahren rafften die Seuchen Tausende von Menschen hinweg. Es hat Zeiten gegeben, wo Infektionskrankheiten wie Pocken und Typhus mehr Tote forderten als die grausamsten Kriege. Voll Stolz kann die ärztliche Wiesenschaft heute auf die Erfolge sehen, die im Kampf gegen diese Geißel der Menschheit errungen wurden und die im Salvarsan, Sulfonamid, Penicillin, Streptomycin und vielleicht auch in den neuen Tuberkulosemitteln ihre größten Triumphe feierten und feiern. Inzwischen aber hat sich der Zustand der Menschen völlig verschoben. Andere Sorgen und Nöte sind auf den Plan getreten. Man spricht offen von einer Krise der Medizin. Tausende wandern zu Wunderdoktoren und behaupten, geheilt zu sein.

Was ist geschehen? Ein alter erfahrener Praktiker aus Hamburg äußerte vor einiger Zeit einmal, "man freut sich direkt, wenn mal wieder ein Kranker ins Sprechzimmer kommt. Die meisten sind nicht krank, - aber gesund sind sie' auch nicht". Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Durchschnittsmensch von heute hat nicht mehr die Fähigkeit, das notwendige Gleichgewicht der Gesundheit zu halten. Alle die Belastungen der letzten Jahrzehnte haben ihm gesunde Regulationsvermögen geraubt. Er bringt es nicht mehr fertig, sich zu "akklimatisieren", d. h. sich den Wechselfällen des täglichen und jahreszeitlichen Lebens anzupassen, wenn sie das normale rhythmische Maß überschreiten. Schon zu seinem normalen Leben braucht der Mensch eine ganz bestimmte Menge von wohlabgestimmten Reizen, die die heutige Medizin als Akkorde auffaßt. Solche Akkorde sind der seelische Akkord, der Nahrungs-, der Hormon- und der Wetterakkord. Alle diese Akkorde befähigen über das Nervensystem den Körper, die Gesundheit zu erhalten. Gibt es an irgend einer Stelle eine Störung, so gerät das Gleichgewicht ins Schwanken. Oft endet eine solche Störung sofort in einer Krankheit. Meist aber schafft sie nur eine Krankheitsbereitschaft und erst eine zweite Belastung, wie etwa eine Grippe, bringt eine massive Erkrankung zu Tage. Jahrelang kann ein Mensch diese Bereitschaft mit sich herumtragen, ohne daß er selbst etwas davon weiß. Sogar für den Arzt kann es schwer werden, diesen Zustand zu erkennen. Sein ganzes Können wird ihm abverlangt, über die Diagnose der Krankheitsbereitschaft hinaus, diese Gefahr zu bannen. Ihren Sitz hat die Gefahr in dem Nervensystem, das dem menschlichen Willen nicht unterworfen ist. (Vegetatives Nervensystem.) Hätten wir die Möglichkeit, ihm zu befehlen, wie den Bewegungs- und Empfindungsnerven, dann könnten unsere Kliniken und Forschungsstellen sich das Leben einfacher machen. Der Weg zur Gesundung unseres Volkes führt über die Normalisierung der gestörten Akkorde zu dem verstimmten Nervensystem. Erst wenn es gelingt, ist auch diese große Gefahr beseitigt.


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