--> https://www.norderney-chronik.de/themen/insel-stadt/presse/nbz/wbk/1950/seite_008.html

NorderneySeiten-Ende

53° 42' 26" N 7° 8' 49 Flagge der Insel
Chronik einer Insel
Insel Norderney

Das Jahr 1398Das Jahr 1797Das Jahr 1849Das Jahr 1862Das Jahr 1873Das Jahr 1948Das aktuelle JahrHilfe/Info

Insel/Stadt | Bilder/Prospekte | Daten/Fakten | Kunst/Kultur

Chronik der Insel | Betriebe und Einrichtungen | Insel und Küste | Insel und Stadt Historisch | Küstenschutz | Presse | Vereine

Norderneyer Badezeitung | Norderney Kurier

Seite Presse | Norderneyer Badezeitung | Sonderausgaben | Badekuriere: Frühjahrsausgaben | Sonderausgaben | Weihnachtsausgaben | 1950-1959 | 1960-1969 | 1970-1979 | 1980-1989 | 1990-1999 | 2000-2003

Seite zurückÜbersichtnächste SeiteFenster schliessen
Weihnachtsausgabe Badekurier 1950
 
Seite 8

Musik hilft heilen

Von Dr. med. James Lasius, Badearzt

Das allgemeine Bedürfnis nach Musik ist groß. Die Möglichkeit, dieses in einem Kurort zu befriedigen, vielfältig. Man wünscht vor allem Unterhaltung, die selbstverständlich geboten werden muß. Im Zeitalter des Rundfunks mit der pausenlos von früh bis spät gelieferten "Geräuschkulisse" aber ist hier ein ernstes Problem entstanden. Ich meine die Passivität des Hörers, die zur stumpfen Hinnahme des Gebotenen führt. Dabei ist kein Unterschied zwischen leichter oder schwerer Musik. Das "klassische" Konzert, oder gar die Symphonie wird genau so teilnahmslos geschluckt, wie moderne Tanzmusik. Meist ist der Hörer mit ganz anderen Dingen beschäftigt und hört nur mit halbem Ohr hin.

Hier sei eine kleine Abschweifung erlaubt. Denken wir einmal nach, welches denn eigentlich die Voraussetzungen für einen wirklichen Kurerfolg sind? Es sind in erster Linie: Der Klimawechsel und die Umstellung und Aenderung der Lebensweise in einem neuen Milieu für eine Ferien- oder Kurzeit. Diese Bedingungen erfüllt Norderney in geradezu idealer Weise! Das ganze Freiluftleben in Wind und Sonne, das Baden im brausenden Wellenschlag der Brandung, die Wanderungen am weiten Meeresstrand und in den Dünen und das Spielen und Buddeln im Sand in leichtester Bekleidung bedeuten nicht nur eine körperliche Umstellung, sondern bringen für alle Berufsmenschen, Stubenhocker und lufthungrigen Großstädter eine "lustbetonte Aktivität", worauf schon der Berliner Neurologe I. H. Schulz hingewiesen hat. Diese "lustbetonte Aktivität" bewirkt einen tiefen Eingriff in das Seelische, eine innere Wandlung und einen Heilungsprozeß. Ihn fortzusetzen und zu steigern, ist unsere badeärztliche Aufgabe.

Kehren wir nun zur Musik zurück. Was hat die Musik mit dem allen zu tun? Sehr viel! Seit altersher hat Norderney der Musik einen wichtigen Platz im Leben des Kurorten eingeräumt. Lange Jahre hat Professor Frischen als Leiter des Kurorchesters und der Symphoniekonzerte hier gewirkt und sich viele Freunde und dankbare Verehrer erworben. Bald nach dem zweiten Weltkrieg trat Musikdirektor Hering, Hamburg, an seine Stelle, ein blutvoller Musikant und ein anspruchsvoller und strebsamer Dirigent, aufgeschlossen gerade den besonderen Aufgaben in einem Kurort und Heilbad.

In wenigen Jahren gelang es ihm, eine erfreuliche Hebung des musikalischen Niveaus und eine erheblich Steigerung des Konzertbesuchs zu erreichen. In klarer Einsicht seiner nicht nur unterhaltenden, sondern auch erzieherischen Aufgabe brachte er leichter faßliche symphonische Werke zweimal wöchentlich in sogenannten freien "Volkskonzerten" zu Gehör, während einmal wöchentlich im Symphoniekonzert große Symphonien mit hervorragenden Solisten zur Aufführung kamen. Neben diesen großen Konzerten kommt in Früh- und Nachmittagskonzerten vor dem Kurhaus und im Kurgarten Unterhaltungsmusik mit kleinem Orchester zur Aufführung.

Mit einem Choral beginnt das Frühkonzert im Pavillon vor dem Kurhaus und bringt dann heitere Weisen (etwa von Strauß, Lehar, Linke). Während die Mehrzahl der Gäste zum Strand- und Badeleben auszieht, ist für diejenigen, die Kur in strengerem Sinne machen müssen, die sich nicht so schnell den klimatischen starken Reizen von Sonne, Salzwasser und Wind aussetzen können, sondern sich langsam akklimatisieren müssen, hier Gelegenheit zu einem mehr kontemplativen Dasein gegeben. Hier hilft Musik zur ruhigen Entspannung, zu geduldigem Zuhören, zum Hinschauen auf Blumenbeete und grünen Rasen als wohltuenden Gegensatz zur blendenden Helle der Strand- und Meereslandschaft. Eine Wohltat für den Rekonvaleszenten, den ewig verkrampften, gequälten Asthmatiker und den abgehetzten Großstädter. Manch einer benützt die Gelegenheit zur Meerwassertrinkkur. Das Nachmittagskonzert von 4 bis 6 Uhr (mit Tschaikowsky, Humperdinck, Rossini und Strauß) bringt fröhliche Unterhaltung besondere für diejenigen, denen ein halber Tag am Strand genügt.

Der Abend bringt dann ein anspruchsvolleres Programm (etwa Mozarts "Zauberflöte", "Aufforderung zum Tanz" von Weber, Brahms "Ungarische Tänze" oder nordische Autoren, z. B.: Sibelius, Svendsen, Grieg). Beschwingte Musik, ganz eingestellt au[ die Stimmung der abendlichen Gäste. Wieviele Patienten sieht der Arzt hier schon nach wenigen Tagen des Aufenthalts aufgeblüht, befreit, in "lustbetonter Aktivität" bei den Klängen edler Musik wieder.

Mitzumusizieren und mitzusingen wäre, therapeutisch gesehen, wohl das Ideal. Aber leider sind die Zeiten vorbei, wo die Hausmusik zu den überall geübten Freuden des Familienlebens gehörte. Und doch geht auch beim Hören und Sehen eines kultivierten Orchesters und eines um die rechte Interpretation ringenden Dirigenten ein Fluidum über auf jedermann. Auch ohne große Musikalität wird der Hörer von dem, was er hier hört und sieht, gebannt, gesteigert und bewegt. Musik hilft zur Harmonie. Welch ein Unterschied zum unbeteiligten Abhören der Konservenmusik des Rundfunks! Kein Wunder, daß sich nun auch ein immer größeres Publikum zu den oft noch gefürchteten "schweren" klassischen Symphonien und den großen Solisten einfindet.

Hierher kommt man nicht in überfüllten Straßenbahnen, im rasenden Auto, das sich den Weg durch das Verkehrsgewühl der Großstadt bahnen muß. In wenigen Schritten ist das Kurhaus erreicht. Sonnengebräunt, gestärkt durch Seebad und würzige Meeresluft, ausgeruht und aufnahmefähig, frei von Berufshetze, prokul negotiis, erscheinen die Gäste zum Symphoniekonzert.

Worte über diese Konzerte besagen wenig. Das Ringen der großen Symphoniker ist wie das Leben selbst, es fährt durch Höhen und Tiefen mit Schmerz, Trauer, Enttäuschung und Freude, Lust und Ueberwindung. Jeder wird seine Symphonie lieben, sei es z. B. die fast Mozartische erste von Beethoven oder die VI., die Pastorale mit den ländlichen Motiven, oder die heroische V. und die schicksalhafte VII., seien es die wuchtigen feurigen Gesänge eines Brahms oder die heiteren, oft so tragischen, tiefen, ergreifenden Klänge Mozarts, den schwermütigen Schumann oder den großen Musikanten Schubert, Tschaikowsky mit den herrlichen Streicher- und Bläserpartien oder Dvorack mit der "Symphonie aus der Neuen Welt" oder seinem zündenden Cellokonzert (Prof. Metzmacher) bis zu den Modernen. Der innere Kontakt hängt vom Charakter und Temperament des Hörers ab.

Immer aber setzt sich der Mensch mit der Gewalt seines Schicksals auseinander, ob mit Sieg oder Niederlage oder Re­signation endend, ist dabei gleichgültig. Wer folgen will und mag, wird in der Tiefe seiner Seele angerührt und wandelt sich. Und wie oft bedeutet diese Wandlung Heilung von Leid und Not.

So vermag echtes Musikerlebnis ebenso wie unmittelbares Naturerleben in gleicher Weise und zusammen innerlich zu befreien und Erholungsuchenden und Kranken Freude und Heilung zu bringen.


NBZ - Weihnachtsbadekurier 1950 Hilfe/Info Logo der Chronik © 2002-2024 H.-H. Barty Seitenanfang