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Weihnachtsausgabe Badekurier 1953
 
Seite 8

Ich war eine von zehn Geschwistern, die meisten leben noch, und als ich aus der Schule kam, mußte ich mir selbst helfen: erst als Kleinmagd beim Bauern, und dann als Großmagd an 'ner andern Stelle. Und dann passierte mir das Malheur mit dem Arm, der in die Dreschmaschine kam. Ich hatte schon ein bißchen gespart, aber davon konnte ich ja nicht leben, und die Rente genügte mir nicht. Immer von anderen abhängig sein, und warten, bis der Postbote alle Monat das Geld bringt? - nee, das war nichts für mich. - Da ging ich dann in die Stadt, wohin mich die Bauern empfohlen hatten, und war hauptsächlich Kindermädchen und so was in feine Familien, - und da kann ich auch noch jeden Tag hinkommen, und gehe auch alle Jahre mal hin und gucke zu, was aus allen geworden ist.

Und da war dann, als ich viele Jahre so gedient hatte, und ich mir manchen Groschen übergespart hatte, eine Gelegenheit, das kleine Fischerhaus billig zu kaufen, wo Sie mit Ihren Eltern mal drin waren.

Und so hab ich meine Pension angefangen. Nichts Luxoröses, nee, das hab ich nie gewollt. Aber solide und gut habe ich es meinen Gästen immer gegeben. Ich habe ihnen nichts geschenkt, aber ich habe sie auch nicht übervorteilt! Und wenn einer kam und hatte zu große Ansprüche, dann hab ich ihm gesagt: Tut mir leid, da bin ich nicht auf eingerichtet, aber nebenan im Hotel, da können Sie das alles haben. - Ja, so habe ich das gemacht, weil ich wußte, was ich wollte und was ich konnte, und weil ich mir alle vom Hals gehalten habe, die nicht zu mir paßten, - und heute, nach bald fünfundvierzig Jahren, weiß ich, daß ich recht hatte. - Noch en Koppke, Herr Böllermann?" "Gerne - wie gut Ihr Tee tut! Er regt an und erfrischt!" "Und er läßt uns wohl auch so alt werden, Herr Böllermann, aber der Tee allein macht das nicht - man muß ihn mit Ruhe und Genuß trinken."

Mit einer kleinen Feierlichkeit machte sie die zweite Tasse für ihren Gast zurecht, das heiße Getränk auf den knisternden Kandis gießend, und ein Wulkche Sahne hineinschöpfend. Dann goß sie aus dem kochenden Wasserkessel in den Teetopf nach für die obligate dritte Tasse, die Blätter im Topf zu erneutem Ziehen aufwirbelnd.

"Wissen Sie, Herr Böllermann, wenn die Saison richtig im Gange ist, dann komme ich ja nicht zur Ruhe, dann arbeite ich von morgens bis abends mit meinen Mädchen, und keiner merkt viel davon, denn dann wäre ja keine Ruhe im Hause. Aber immer mit Verstand und Voraussicht! - Anners käme ich ja zu gar keiner Lebensfreude."

"Lebensfreude sagen Sie, Fräulein H. - was machen Sie denn so in Ihren ruhigen Monaten?"

"Oh, wissen Sie, ich bin ja nun kein "gebildetes" Fräulein, aber darum hab ich doch vieles, was mir Freude macht und wozu ich Zeit habe. Ich mache mir keine Gedanken um alles, aber es sind meist keine guten Gedanken, und dann komme ich mit anderen Frauen hier zusammen und wir arbeiten zusammen was für arme Kinder und so, - aber am meisten Spaß habe ich doch immer an meinem Haus, da gibt es immer was zu tun. Da ist die Wäsche nachzusehen, die Möbel sind zu polieren, und da ist was anzustreichen. - Wissen Sie, Herr Böllermann, am meisten Freude hat man doch an dem, was man selbst geschaffen hat, und wenn auch gar nicht alles unbedingt nützlich ist, was man daran tut, so macht doch schon die Beschäftigung mit den eigenen Sachen Freude, und das ist hauptsächlich mein Lebensinhalt, und ich weiß nicht einmal genau, ob ich das alles entbehren kann, wenn ich mich zur Ruhe setze, - nee, ich weiß es noch nicht - und deshalb habe ich mich auch nicht fest entschlossen - vielleicht nehme ich mir auch nur eine tüchtige Haushälterin, aber bleib doch Herr über alles, auch wenn ich nicht viel mehr aus meinem Stuhl herauskommen sollte."

Ein wunderbares ausgefülltes Leben, dachte Böllermann. - Welche sichere Ruhe strömt diese alte Frau ans, - welche Ruhe bei aller Tatkraft. - Das war es wohl: sie hatte ihr Leben genau so eingerichtet, wie sie wollte und konnte.

"Wie ist es nun, Herr Böllermann, wollen Sie sich mal ein Zimmer ansehn?"

Die beiden traten in ein Zimmer, das bereits zurecht gemacht war, nur ein Bett war zu überziehen.

"Wie wär's mit diesem hier?"
"Was soll es kosten, Fräulein H.?"
"Wie lange wollen Sie denn bleiben?"
"Nur über dieses Wochenende!"

"Ich will Ihnen was sagen, Herr Böllermann! Nehmen Sie's mir nicht übel, wenn ich Ihnen das anrate: bleiben Sie bei mir ein wenig länger, ich freue mich, etwas für Sie tun zu können. Hier haben Sie Ruhe und Besinnung!"

Böllermann schwankte. Die reale unbarmherzige Gegenwart war sein Element. Er war gewöhnt, an materiellen Dingen zu nehmen, was er glaubte, brauchen zu müssen. Aber etwas an deres?

Dann überlegte Böllermann, was ihm lange nicht mehr in den Sinn gekommen war. Immer stärker drang die alte vom Alltagskampf nahezu überwucherte Weisheit in sein Bewußtsein: "Nimm gute Ratschläge an, wenn sie von Herzen kommen, ganz einerlei, wer sie dir gibt."

Und die alte, lebenskluge Wirtin? Sie fühlte, wie nie zuvor, daß wohl unsere Zeit bestrebt ist, alles und jedes zu regeln und zu tarifieren, wie die Gegenwart durch Schemen zu Sicherheit strebt, wo doch nur ein wahrhaft gerechtes Leben einzig Sicherheit bieten kann in der Gemeinschaft der Menschen.

Viel noch sprachen die beiden, Hausherrin und Gast, in den wenigen Tagen miteinander über das, was wesentlich und unwesentlich ist. Wieviel Unwesentliches habe ich in mein Leben eindringen lassen, dachte Böllermann, was ich selbst gar nicht will und nicht gebrauchen kam, - und alles dies bewegte noch sein Herz, als er bei der Rückreise wieder in den Zug gestiegen war, - als er die Schiffsleute in aller Ruhe die Abfahrt des Zuges besehen sah, bevor sie zu neuer Ueberfahrt alles klar machten. Der Zug mit der schweren Maschine enthielt einen anderen Böllermann, als er den Deich hinauf keuchte, um nach Minuten in sausender Fahrt durch die weiten Ebenen den Stätten rastloser Arbeit zuzueilen, ohne einen Prellbock befürchten zu müssen und ohne in die Nähe eines ihm gefährlichen Elementes zu kommen.

F. D. W.


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