--> https://www.norderney-chronik.de/themen/insel-stadt/presse/nbz/wbk/1953/seite_010.html

NorderneySeiten-Ende

53° 42' 26" N 7° 8' 49 Flagge der Insel
Chronik einer Insel
Insel Norderney

Das Jahr 1398Das Jahr 1797Das Jahr 1849Das Jahr 1862Das Jahr 1873Das Jahr 1948Das aktuelle JahrHilfe/Info

Insel/Stadt | Bilder/Prospekte | Daten/Fakten | Kunst/Kultur

Chronik der Insel | Betriebe und Einrichtungen | Insel und Küste | Insel und Stadt Historisch | Küstenschutz | Presse | Vereine

Norderneyer Badezeitung | Norderney Kurier

Seite Presse | Norderneyer Badezeitung | Sonderausgaben | Badekuriere: Frühjahrsausgaben | Sonderausgaben | Weihnachtsausgaben | 1950-1959 | 1960-1969 | 1970-1979 | 1980-1989 | 1990-1999 | 2000-2003

Seite zurückÜbersichtnächste SeiteFenster schliessen
Weihnachtsausgabe Badekurier 1953
 
Seite 10

Die Nebelkönigin

Erzählt von E.A. Petersen, Norderney

Wo die Nordsee gegen die Deiche hämmert und Einlaß begehrt in das weite, grüne Marschenland, wo Hoch- und Niedrigwasser ihr ewiges Spiel treiben, dort liegt das Wattenmeer, begrenzt von der Inselkette und der deichbewehrten Küste.

Wenn über seine Risse und Priele die dichten Nebelschwaden ziehen und sich über die düstere Landschaft wälzen, dann steigt aus der Tiefe die märchenhafte Gestalt der Nebelkönigin.

Sie lebte vor ungefähr einhundertundfünfzig Jahren. Durch den tragischen Tod, den sie im Wattenmeer erlitt, kam sie in schlechten Ruf, und man hängte ihr allerlei an. Böse Zungen können auch den besten Menschen in den Augen leichtgläubiger Leute zum schlechten Menschen machen. - So ging es auch der Nehelkönigin. Sie wurde zur Spukgestalt, von der sich die abergläubischen Fischer erzählten.

In Großmutters Stübchen hab' ich es einst gehört: "Das Märchen von der Nebelkönigin".

Es war einmal ein großer Abenteuerer. Ein Abenteurer ist ein Mann, der vom Schicksal und von der Sehnsucht in die Ferne getrieben wird und dort Gutes und Schlechtes erlebt.

Seht, so ein Mann war auch Alli Visser, ein Insulaner. Er trieb sich auf allen möglichen Seglern herum, die damals den Ozean kreuzten. - Aber nach gut zehn Jahren war das große Heimweh über ihn gekommen, das jeden Abenteurer überfällt.

SegelschiffHeimweh ist eine schlimme Krankheit. Geht in die großen, fernen Hafenstädte, da könnt ihr sie auf der Mole sitzen sehen, wie sie auf das Wasser stieren. Und wißt ihr auch, was sie im Wasser sehen? - Ein Stück der Heimat, eine Insel, Dünen, ein Fischerdorf - und dazwischen Ozean - für die armen Teufel unereichbar. Und so groß, wie einst die Sehnsucht nach der Ferne war, so groß wird dann auch die Sehnsucht und Liebe zur Heimat. An dieser Sehnsucht gehen sie zugrunde, denn von den vielen kommen nur sehr wenige gesund wieder.

Von diesen wenigen einer war auch Alli Visser. Er kam reich wieder: reich an Erfahrungen, reich an Schätzen. Von einem chinesischen Priester hatte er einst ein kleines Kästchen bekommen, eine niedliche Schatulle, ein richtiges Kunstwerk. In diesem Kästchen sammelte er seine Schätze, die er aus aller Herren Länder zusammengesucht hatte. Da waren Perlen aus der Südsee, so groß wie eine Erbse, Diamanten von den Feldern Afrikas und echter indischer Schmuck. Mit diesem Reichtum kehrte er heim.

Sein Mädchen, das ihm, ehe er gefahren, die Treue versprochen, hielt Wort, und so konnten sie sich in der kleinen Dorfkirche trauen lassen.

Aber Alli Vieler hielt das seßhafte Leben nicht aus; er mußte schaukelnde Planken unter den Füßen haben. Er kaufte sich einen Schoner, mit dem er Fracht von Skandinavien nach Friesland fuhr. Seine Familie - es war inzwischen ein Töchterchen angekommen - siedelte auf den Schoner über und machte die Fahrten mit.

Das chinesische Schmuckkästchen aber wurde von ihnen hoch in Ehren gehalten und in einem festen Wandschrank verschlossen. Nur die drei Menschen wußten davon.

Wenn es seine Zeit erlaubte, kam Alli meist sonntags in seine Kajüte hinab. Dann stand seine kleine Frau vor ihm, behängt mit dem Schmuck aus der Schatulle.

"Für wen hast du dich denn so schön gemachtl" fragte er dann wohl.

"Nur für dicht" klang es schlicht zurück. Dann nahm er sie in die Arme, und die kleine Antje klatschte vor Freude in die Hände, denn alle drei hatten sich lieb und waren glücklich. - Dann kam das große Unglück ! -

Es war ein stürmischer Septemberabend. Neumond war es, und Springflut zu erwarten. Die "Antje" - der Schoner trug den Namen des kleinen Töchterchens - suchte ihren Weg im Wattenmeer, da sie dort vom Sturm überrascht worden war. - Ihr kennt doch Nebelsand, jene Sandbank im Watt, die bei gewöhnlichem Hochwasser von den Fluten kaum berührt wird. Bei Springflut aber gleicht sie einem Hexenkessel. Dann stürzen die Brecher über sie, und wehe dem Schiff, das ihr zu nahe kommt.

Die "Antje" lief gerade auf sie zu. Der Mann am Ruder gab sich alle Mühe, den Schoner an dieser gefährlichen Stelle vorbeizubringen. Jedoch das Schiff schien mit unheimlicher Kraft von der Sandbank angezogen, und das Ruder gehorchte nicht mehr. Die "Antje" wurde ein Spielball der Wellen, dabei stieg der Wind auf Stärke 9. Mit großem Schwung, von wilden Brechern gehoben, wurde sie auf die Sandbank gesetzt.

Alli Visser war in die Kajüte hinuntergegangen. Er wollte Frau und Kind beruhigen und, wenn es not tat, beide zum Beiboot bringen. Er war kaum unter Deck, als das Schiff mit lautem Krachen aufschlug. Durch das Luk und durch die Ritzen der Wände drang Wasser. Gott sei Dank, das Oellicht brannte noch. Alli fing die schreiende Antje auf, nahm sie auf den Arm, faßte seine todblasse Frau an der Hand und stürmte an Deck. Draußen war die Hölle los! - Das Boot lag achtern, dorthin mußten sie. Er drückte das Kind stärker an die Brust und nahm seine Frau fester bei der Hand. - An den Reichtum, den sie besaßen, dachten sie nicht. Er wollte erst das Leben seiner Frau und seins Kindes retten und - wenn es ging - auch das seine. - So blieb das chinesische Kästchen im Wandschrank. Die drei aber erreichten das Boot nicht mehr.

Achtern hing das Beiboot in den Davits. Einige Planken der Ladeluke hatten sich gelöst, und eine traf Alli an den Kopf. Er brach ohnmächtig zusammen, ließ seine Frau los, und die kleine Antje entglitt seinem sicheren Arm. Die nächste Sturzsee spülte alle über Bord, und sie versanken in den schaumgekrönten Wellen. Die Mannschaft konnte sich retten, weil sie auf Deck war. Sie machten das Boot los, ergriffen die Riemen, stießen ab und kamen frei. Der Steuermann Jann Raß saß am Bug. Mit Müh und Not hatte er eine Pechfackel in Brand gesetzt, von denen genügend im Boot lagen.


NBZ - Weihnachtsbadekurier 1953 Hilfe/Info Logo der Chronik © 2002-2024 H.-H. Barty Seitenanfang