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Norderneyer Badezeitung | Norderney Kurier
Stadtdirektor i.R. Carssen Lührs: Norderneyer Welt-Badeleben damals
Wir blenden zurück in die "gute" alte Zeit unserer Großeltern
1903 tauchte auf Norderney ein Automobil auf, die, nach einem Bericht in langsamem, ruhigem Tempo durch die Straßen fuhr und von einem geschickten "Coiffeur" gelenkt wurde. Zu dieser Zeit war das Auto - auch in den Großstädten - noch etwas Neues, und man kam es wohl verstehen, wenn man das außergewöhnliche Ereignis im Inselleben besonders hervorhob. Man kann auch den Irrtum verzeihen, daß der Chauffeur des Autos als Haarkünstler, Coiffeur, bezeichnet wurde.
Diese kleine erheiternde Reminiszenz ist so recht geeignet, uns in die Zeit vor 50 Jahren zurückzuversetzen. Es gab damals, wie gesagt, auch auf dem Festlande noch nicht viele Autos, es gab keine Kinos, keine Flugzeuge und kein Radio. Die erstaunliche Entwicklung der Technik durch Elektrizität und Explosionsmotor, deren nicht immer erfreuliche Auswirkungen wir heute tagtäglich in ständig zunehmendem Ausmaße zu spüren bekommen, machte sich erst in den Anfängen bemerkbar.
Das leben vor 50 Jahren bewegte sich im friedlichen größeren Deutschland seit Jahrzehnten in ruhigen und gemütlichen Bahnen, während es in der übrigen Welt oft kriegerisch genug zuging. In die Zeit vor 50 Jahren fielen die satten Jahre bis 1914, in denen das deutsche Volksvermögen anfänglich um fünf, später bis zu zehn Milliarden Mark jährlich anwuchs. Dem deutschen Volk, namentlich dem Mittelstand, ging es gut. Und es war der Mittelstand, der in von Jahr zu Jahr steigender Zahl das Gros der Norderneyer Badegäste stellte.
Norderney behauptete unbestritten den ersten Platz unter den 113 deutschen Seebädern, 25 Bädern an der Nordsee und 88 Ostseebädern. Es gab derzeit auch nur wenige Bäder auf dem Kontinent, die - nicht nur in Bezug auf die hygienischen Einrichtungen - mit Norderney konkurrieren konnten. Von den 112.202 Besuchern in den 25 deutschen Nordseebädern im Jahre 1903 entfielen 30.610 auf unsere Insel.
Norderney hatte vor 50 Jahren bei rund 4.000 ständigen Ortseinwohnern ebensoviel Betten für Kurgäste aufzuweisen, wie heute, das heißt, etwa 9.000. Schon im Jahre 1901 waren 8.467 zu gleicher Zeit auf der Insel anwesende Kurgäste gezählt worden. In den folgenden Jahren nahm mit der wachsenden Gästezahl die Zahl der Fremdenbetten weiter zu, so daß im Jahre 1913 über 12.000 Betten für Kurgäste zur Verfügung standen.
Das Bad wurde von einem guten zahlungsfähigen Publikum aus allen deutschen Volkskreisen und auch von vielen Ausländern besucht. In den Monaten Juli und August 1903 kamen 10 % der Gäste aus dem Auslande. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste war vor 50 Jahren noch größer als heute. Für eine Badekur rechneten die alle Jahre wiederkehrenden zahlreichen Stammgäste, die stets wieder in den gleichen Häusern abstiegen, drei bis vier Wochen. Wer zum ersten Male nach Norderney kam, nahm für eine Nacht in einem Hotel oder im Bazar Quartier und suchte sich eine Wohnung in einem Logierhaus.