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Weihnachtsausgabe Badekurier 1955
 
Seite 6

Dr. Justin Brill: Norderney verwandelt sie alle!

Von der Atmosphäre einer königlichen Sommer-Residenz, die Weltkurort wurde

DünenIn keinem Sommer seit der Währungsreform hatte der innerdeutsche Reiseverkehr einen so großen Umfang wie in diesem Jahre. Nicht nur die seit jeher bekannten Ferienziele an Nord- und Ostsee, im Gebirge sowie im Rhein- und Moseltal hatten Rekordziffern des Fremdenverkehrs aufzuweisen, sondern auch die weniger bekannten, dafür aber oft von einem kleinen Kreis Erholungsuchender desto mehr geschützten Orte, in denen Meeresluft oder Waldeinsamkeit eine Ausspannung ermöglichen, wiesen einen starken Besuch auf. Nach der Rückkehr aus dem Sommerurlaub beginnt unter den Kollegen an der Arbeitsstätte und im Bekanntenkreis der Meinungsaustausch über die Erlebnisse während der Ferienreise, man zieht Vergleiche zwischen dem Ausmaß der Erholung und der Schönheit der Natur.

Die Eigenart der bevorzugten deutschen Ferienaufenthalte verbietet zwar einen Vergleich, denn Schwarzwald und Nordseestrand z. B. sind nun einmal so verschieden, daß man sie nicht unmittelbar zueinander in Beziehung setzen kann. Höchstens hinsichtlich der Pensionspreise und der Höflichkeit der Bewohner gegenüber den Fremden sind Vergleiche möglich. Jedes bevorzugte Reisegebiet hat aber eine spezifische, nur dieser Gegend eigene Wirkung auf den Erholungsuchenden, über die man sich klar werden sollte, um daraus Nutzen bei der künftigen Wahl des Ferienaufenthaltes zu ziehen. Wenn es allgemeiner Zweck einer Erholungsreise ist, den Sorgen des Alltags so weit wie möglich für eine bestimmte Zeit zu entgehen, so sind bei einem Aufenthalt an der Nordsee die Voraussetzungen hierfür in besonderem Maße gegeben.

Die als "Reizklima" bezeichnete besonders intensive Wirkung von Sonne, Meeresluft und Wellen auf den menschlichen Organismus entreißt den Badegast an der See schon in den ersten Urlaubstagen dem Zwang beruflicher oder geschäftlicher Tätigkeit ebenso wie dem Nachdenken über die Schwierigkeiten und Nöte des Lebens. Mit den Wellen wird jeder Trübsinn hinweggespült und neuer Lebensoptimismus zieht in die gequälte Seele ein.

Ein bekannter Abgeordneter zeigte mir auf der Fahrt nach Norderney eine Denkschrift von 122 engzeilig beschriebenen Schreibmaschinenseiten, die er "in den nächsten Tagen" durcharbeiten wolle, da er nach der Rückkehr aus dem Urlaub keine Zeit mehr dazu haben würde. Einige Tage nach seiner Ankunft sah ich diesen Abgeordneten wieder, wie er damit beschäftigt war, nach den Weisungen seiner Gattin und seiner Kinder eine ansehnliche Burg am Strand aufzubauen. Als ich ihn dann noch abends auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung in dem schönen Kurhaussaal von Norderney antraf, verbot es mir die Höflichkeit, nach der Urlaubsbeschäftigung mit der Denkchrift zu fragen, wobei ich aber überzeugt bin, daß ihrer späteren Bearbeitung die "totale", durch das Nordseeklima erreichte Ausspannung des Herrn Abgeordneten nur nützlich sein konnte. In Norderney traf ich auch führende Männer der Geschäftswelt und Verwaltung, die sonst ganz in ihrem Beruf aufgehen, wie sie mit ihren Kindern stundenlang am Strand Ball spielten während mir ihre Gattinnen glaubhaft versicherten, daß sie daheim täglich nur wenige Minuten für ihr Familienleben erübrigen könnten. Auch auf einem Fest im Norderney-Sommer 1955 sah ich diese Herren wieder, wie sie, die sonst nur ernsthaften Beschäftigungen nachgehen, sich in heftige Meinungsverschiedenheiten darüber verwickelten, welche der zahlreich anwesenden schönen Frauen zur "Miß Nordsee" gewählt werden sollte. In diesen verschiedenartigen Auswirkungen eines Urlaubs an der Nordsee spiegeln sich die segensreichen Folgeerscheinungen wider, die nicht in der rheinischen Zusammensetzung des Meerwassers, den Feststellungen über die besonders starken ultravioletten Strahlen der Sonne und anderen sachlichen Feststellungen der Kurverwaltung und der Badeärzte zum Ausdruck kommen, sondern die elementare Tatsache, daß Sonne und Sand und Weite des Meeres, überstrahlt von einem blauen Himmel oder überwölkt von oft gewaltigen Wolkenbildungen, den Menschen schnell und wirksam aus der rauhen Wirklichkeit in ein Traumland versetzen. Wenn es die Krankheit unserer Zeit ist, daß die Menschen von ihrer Arbeit und ihren Sorgen nicht loskommen können, ja, daß nicht die Menschen die Arbeit meistern, sondern daß sie umgekehrt von ihrer beruflichen Beschäftigung erdrückt und schließlich gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen werden, dann wird an der Nordsee das Hauptproblem einer Erholung durch die Einwirkung der Naturgewalten auf den Menschen gelöst; nämlich, indem er durch den Zusammenklang der verschiedenartigen Heilfaktoren und geistigen Zerstreuungen von all dem losgelöst wird, wes ihn sonst beschäftigt.


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