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Insel Norderney

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Weihnachtsausgabe Badekurier 1965
 
Seite 3

DünenDann plötzlich ist die Nacht aus der Unendlichkeit gestiegen. Sie senkt ihre dunklen Schwingen über das Watt und zieht den letzten Vorhang, hüben und drüben. Die Herrschaft der tiefen Dämmerung beginnt. Nur undeutlich vibriert die Kompaßnadel in meiner Hand. Dort, im Südosten, entzündet sich ein leises Flimmern, Funkeln: der erste Stern, der den Weg weist. Ich denke an das Leuchten von Betlehem. Damals wie heute gab es Richtung und Trost. Der Kompaß kann ruhen und der Fuß traumwandelnd seinen Weg finden. Unter mir, um mich herum feuchter Schlick und das eintönige rhythmische Plätschern der geheimnisvollen Welt zwischen den Elementen. Jenseits, fast schon im Nordwesten, blinkt und verschwindet es wieder: der unermüdliche Insel-Leuchtturm. Der Stern leuchtet und das Blinkfeuer, beide gleich gut. Ich kann träumen, Denken und Wissen sind fern, von irgendetwas aufgesogen, ausgelöscht.

Aber Dämmern und Träumen, das wird auch zur Zwiesprache mit dem, der gerade in der tiefsten Nacht seinen Thron unter uns aufschlug und den jetzt die Menschen auf dem Eiland in ihrer Kirche suchen und finden werden. Die Stille singt, die Nacht, die spülenden Wasser singen die große Melodie, singen Antwort auf Fragen. Stille, Stille; Friede, Schönheit und Einheit. Die Nacht sickert und tropft. Immer schwerer, immer dumpfer. Träumen, Dämmern, Wandern, ein Heimverlangen, Sennen nach der Heimat. Noch dringt er nicht in mein Bewußtsein, der müde verlorene Vogelschrei, den schleichende Wasser hochwarfen.

Waten, Waten und Träumen. Ich habe noch immer keine Furcht. Wachen und Denken sind wie aufgetrunken von der saugenden Stille. Dann auf einmal: irgendetwas umspielt meine Füße. Fast lautlos leckt es höher: Wasser! Fast geht es jetzt schon bis zum Stiefelrand. Nichts mehr sehe ich als das Spiegeln des Wassers, wenn das Leuchtfeuer durch das Dunkel bricht, ein Dunkel, das noch immer bleiern die Sinne umklammert. Es perlt um mich herum, wie flüssiges Silber, leuchtender Schaum, eine glitzernde Bahn hinter mir. Kein Laut. Da leuchtet nun auch der Stern wieder gut: Waten, Plätschern, silbriges Sprühen. Aber es wird nicht wieder flacher - das ist die Flut!

Nun erst bricht der lähmende Bann, den die Stille schlug. Das Träumen weicht, und die urplötzlich wachen Sinne fluten zurück in ihr verlassenes Bett. Die Schläfen pochen. Zurück nach Norden, zur Insel, da ist Land, Land! Der Schaum glitzert und sprüht höher, immer höher und lauter. Nur weiter, hin zum Heller und den Dünen, die hinter mir in der Dunkelheit liegen. Rauschen, gespenstischer Silbertanz. Da stößt der Fuß gegen Hartes. Zweige, Strauchwerk, eine Schlenge, und dahinter schon nach wenigen Schritten festeres Land!

Seit jener Nacht zwischen dem alten und dem neuen Jahr ist mir das Watt vertraut geworden in seinem Abendsonnenglanz, im Nebel und bei Nacht. Wenn der Frühling wieder ins Land zieht und der Ruf des Regenpfeifers bei Nacht über mich im Binnenland geht, dann muß ich wieder dorthin, ich muß es einfach. Und auch dies weiß ich: Wenn ich einmal fern von diesem Lande bin, irgendwo auf weiter See, im Lande des Nordens oder unter der sengenden Sonne des Südens - eines Tages wird mich, der glaubte schon von allen Fernen zu wissen, ein Sehnen ergreifen, ein schmerzendes Heimverlangen. Es ist das Heimweh nach dem Rufen der Wattvögel über dem unendlichen Wasser und dem Flammen des Abendgoldes über Meer, Dünen und Inselstadt, über der singenden Stille dieses Insel-Winters.


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