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53° 42' 26" N 7° 8' 49 Flagge der Insel
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Insel Norderney

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Weihnachtsausgabe Badekurier 1965
 
Seite 10

Im Südosten, auf der Leeseite, wo sich die Insel leichthin öffnet wie ein Hufeisen liegt das Watt. Bei schönem Wetter sieht man von den Dünen aus eine weite, silbrigglänzende Fläche, geädert von den blitzenden Windungen der Priele wie eine skurrile Silbergravur. Seltsame Landschaft, die nicht Erde ist und nicht Meer. Landschaft am Anfang, wenn der Himmel verhängt ist von tiefjagenden Wolken, wenn sie düster daliegt, ein feucht schimmerndes, mattschwarzes Geheimnis wie die Haut eines Riesenwals. Das Licht, das darüberliegt, sieht aus, als wäre es eben geschaffen, unentschieden, ungeschieden. Wie dieses Ganze Ungeschiedene aus Wasser und Schlamm, Algen und Tang, salzigem Schaum, der an den Rändern der Pfützen stockt. Welt der Amphibien und Vögel, der Austernfischer, Strandläufer, Möwen, die mit heiserem Schrei ganz tief über die Priele dahinsegeln. Welt aus Schlick, voller Muscheln, Prielwürmer, kleiner Krebse, voll verschwenderisch gezeugtem, verschwenderisch verworfenem Leben. Der Sand ist seltsam durchzogen von Riffelmarken, feinen Kräuselungen, Wellenlinien, ornamentalen Mustern, die die Flut gelegt hat, so und nicht anders, ganz regelmäßig, in exakter Zufälligkeit, ein kosmischer Negativabdruck. Später irgendwann wird das Brausen draußen stärker, dann sickert und blubbert es in den Prielen, kriecht schmutziger Schaum heran, unmerklich steigt das Wasser in Vertiefungen und Pfützen, kehrt das Meer wieder zurück.

Das ist das Watt. Geschaffen, geformt, verformt zwischen Ebbe und Flut. Fremde Welt. Verloren weht es einen an mit dem Atem elementarer Gesetzmäßigkeit. Und doch spürt man es nirgends so wie hier. dieses herrliche, warmdurchflutende Gefühl, das Glück, dazusein.

Sonntagvormittag auf der Strandpromenade... Alle sind sie da. Denn es ist Sonntagswetter, Wetter für Eisverkäufer. Malerwetter. Ein Bild in Blau - Regatta in Deauville - hellblau, dunkelblau, grünblau, violett. Dazwischen setzen Tupfer farbige Akzente, nicht überladen, streng zugeordnet, herb in der Salzluft. Herr Ober, einen Campari Soda bitte. Rot, viel rot, weiß, auch safrangelb. Und natürlich braun. Alle Brauntöne der Haut. Kupferbraun flirtet mit Bronzebraun. Der Blazer aus dem Ruhrgebiet mit dem klassisch geschnittenen Leinenkleid aus Hannover. Sie haben in den Spiegel gesehen und ihre Bräune für gut befunden, und befunden, daß sie nun sportlicher wirken, ein wenig jünger auch. Promenieren nun, zufrieden, zufällig, abschätzend, abgeschätzt. Das Kurorchester spielt "An der schönen blauen Donau"; der Seewind nimmt es auf, setzt ein paar Synkopen, aber ohne den Takt zu verändern. Er ist heute galant; nur leichthin bewegt er Wimpel und Fahnen, zerrt nicht an Leinen und Schnüren. Sie gestatten doch. - Bitte mein Herr. Sie stören nicht. - Ich sehe den Segelbooten zu, die draußen kreuzen, weiße Dreiecke in einem heiteren Koordinatensystem. Sehr weit sieht man heute, oh ja. Der Himmel - wie blank geputzt nach dem Gewitter gestern. Und schauen Sie die Steinplatten der Promenade, als hätte sie jemand mit dem Bleistift nachgezogen.

Was ich heute anfange? Das, was ich mit all diesen Tagen hier mache. Pflücke den Tag, carpe diem, Horaz. Ich pflücke sie - so - und vergeude sie mit zärtlicher Unverschämtheit, eine süße Spanne Urlaubs.


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