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Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges endet auf Norderney die "Belle Époche"
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 endete auch auf Norderney die "Belle Époche", die "schöne Epoche". Auch wenn längst nicht alle Teile der Gesellschaft partizipieren konnten, wird nach dem Ersten Weltkrieg nichts mehr so sein können, wie es vorher war.
Edward Grey, britischer Außenminister von 1905 bis 1916, beschrieb die Situation mit den Worten: "Die Lampen gehen in ganz Europa aus, wir werden sie in unserem Leben nie wieder leuchten sehen."
Die Verwandlung Norderneys geschah innerhalb weniger Wochen und Monate von einem heiteren Ort der Entspannung, einer Sommerfrische für eine gut situierte Klientel, hin zu einem Ort, in dem Militäranlagen sozusagen "aus dem Boden gestampft wurden".
Nicht mehr länger bestimmten Konzerte, Theater-Aufführungen und flanierende Sommergäste in den Kuranlagen und am Strand den Lebenstakt der Nordseeinsel. Es waren nun vollkommen konträre "Ansichten", zum Beispiel wurde die "Georgshöhe" schon 1914 zu einem Maschinengewehr-Stand ausgebaut und zu einem der wichtigsten Außenposten der Militärverwaltung. Nach und nach entstand eine Verteidigungslinie am Weststrand, die sich vom Januskopf bis hin zum 1913 erbauten Malerturm des bekannten See- und Landschaftsmalers Poppe Folkerts zog.
Dies war selbstverständlich nur das äußere Bild - viel bedeutsamer war, dass sich ganze Lebensplanungen in ein Nichts aufzulösen begannen. Die Angst und Sorge um Väter, Brüder, Söhne und Ehemänner, die in den Krieg ziehen mussten, war überwältigend groß. Ohne diese Familien-Ernährer entstand sehr bald auch große wirtschaftliche Not.
Luftbild vom Hafen Richtung Mühle, wahrscheinlich Frühjahr 1916
Auch die Norderneyer Müllerfamilie Fleetjer war betroffen; zwar waren die Brüder Okko und Peter nicht mehr zusammen auf Norderney tätig, jedoch waren die Verbindungen der Familie untereinander sehr intensiv. So versuchte der Vater der Brüder in deren kriegsbedingter Abwesenheit sowohl die Mühle in Münkeboe als auch die Norderneyer Inselmühle bestmöglich zu versorgen und "am Laufen" zu halten, was natürlich nicht effektiv genug sein konnte. Immerhin war der Vater E.A. Fleetjer - 1839 geboren - nunmehr fast 80 Jahre alt.
Rechts: Der Seefliegerhorst im Jahr 1917 (Archiv Bernd Röben). Ganz rechts in der Bildmitte befindet sich die Inselmühle "Selden Rüst".
Okko Fleetjer muss wohl fest mit einer Einberufung zum Kriegseinsatz gerechnet haben, vielleicht war es ohnehin geplant gewesen, aber nach Kriegsbeginn erschien diese Maßnahme dringlicher als zuvor: die Erweiterung seiner Mühle mit einer Windrose. Dieses geschah vermutlich im Laufe des Jahres 1915. Wie bereits in den vorherigen Teilen der Serie erwähnt, musste die Mühle ohne Windrose stets manuell nach dem Wind ausgerichtet werden. Mittels dieser Windrose geschah dies dann sozusagen "automatisch", was im Falle einer sehr wahrscheinlichen Einberufung zum militärischen Dienst für die Mühle überlebenswichtig war.
Auf einem Foto rechts - vermutlich nach der schweren Sturmflut vom Januar 1916 aufgenommen - ist die Inselmühle jedenfalls mit einer Windrose bestückt.
Bonno Eberhardt thematisiert im 31. Teil seiner Serie "Die Inselwache" auch die Schlacht um Verdun und was das für einige Norderneyer Männer bedeutete:
"1916 wurden noch 35 Mann der Inselwache nach Frankreich beordert. Nachdem in den vorangegangenen zwei Kriegsjahren große Verluste an Soldaten zu beklagen waren, machte man jetzt auch Männer des Land-Wehrsturmes, die sonst nur Wach- und Beobachtungsdienste ausführten, zu regulären Soldaten. Die Norderneyer Wehrmänner wurden nach Frankreich abkommandiert und dort bekamen sie zunächst eine Ausbildung für die Bedienung an schweren Waffen. Der Krieg hatte sich 1916 zu einem Stellungskrieg ausgeweitet."
Mein Großvater Okko Fleetjer war einer dieser 35 Männer - laut Eintragung in seinem Militärpass "Mitgemachte Gefechte: vom 25. August bis 9. September 1916 Kämpfer in Fleury, 10. bis 12. September 1916 Stellungskämpfer vor Verdun. Vom 13. September bis 16. November 1916 Stellungskämpfer in Vaugnois, vom 16. Dezember bis 27. Januar 1917 Stellungskämpfer an der Somme".
Verdun - wenn auch nur ein Ort mit schrecklichem Ruf, aber immer noch in lebendiger Erinnerung. "Knochenmühle" wird diese Stätte einer fürchterlichen Schlacht auch genannt, heute ein Ort des Gedenkens. Auf meiner Suche nach Informationen fand ich im Internet einen sehr bewegenden Artikel, eine Art "Zusammenfassung" der Ereignisse vor genau 100 Jahren, als Autoren zeichnen Stephan Klink (Erster Vorsitzender der Deutsch-Französischen Forschungsgesellschaft Verdun e. V.) und Andrea Treuhardt. Leider ist dieser Text so umfangreich, dass ich ihn nur in Teilen wiedergeben kann:
"Verdun war in dieser Zeit, insbesondere im Jahre 1916, einer der Orte, die am schwersten umkämpft wurden. Hier wurde das bekannte Synonym der "Materialschlacht" geboren,eine Schlacht, in der nicht mehr der einzelnen Soldat, sondern nur noch das Material an Mensch und Eisen zählte. Wer die meisten Mittel zum Einsatz bringen konnte, würde gewinnen. Und so war es dann auch.
In der bisherigen Geschichte war die Schlacht von Verdun die erste dieser Art, weitere sollten zwischen 1916 und 1918 folgen. Zu trauriger Berühmtheit gelangten die blutigen und verlustreichen Kämpfe in Flandern, an der Somme und in der Champagne.
Die Schlacht von Verdun begann am 21. Februar 1916 und dauerte in der offiziellen Geschichtsschreibung bis zum 15. Dezember 1916. In diesen, rund zehn Monaten fast ununterbrochen andauernden Kämpfen, verloren gegen 200.000 Soldaten beider Seiten ihr Leben. Fast die fünffache Zahl wurde verwundet. Verdun wurde für rund 200.000 Soldaten beider Nationen zum Grab...
Hunderte starben still, alleine, einsam, grausam verstümmelt, unbemerkt von ihren Leidensgenossen in irgendwelchen, den Stellungen abseits gelegenen, Granattrichtern oder ertranken in mit Wasser gefüllten Gräben...
Man sollte sich bewusst sein, dass Verdun nach wie vor ein einziger riesiger Friedhof ist. An manchen Stellen gibt das Schlachtfeld auch in diesen Tagen noch Reste der ehemaligen Kämpfer frei… Beinknochen, Wirbel, Rippen… Der Besucher von heute sollte sich diese Tatsachen immer vor Augen halten. Spätestens beim Gang über einen der großen Soldatenfriedhöfe erkennt man die Masse und Bedeutung der genannten Zahlen und dies, obwohl es nur ein Friedhof von vielen ist.
Der Norderneyer Müllermeister Okko Fleetjer hatte das Glück, zumindest körperlich unversehrt mit einem Befehl vom 16. Februar 1917 nach Norderney zurückversetzt zu werden. Im "1. KGL. PR. Inselwacht-Bataillon" konnte er bis zum Kriegsende am 11. November 1918 neben dem Dienst dort zumindest teilweise seinem Beruf als Inselmüller nachgehen.
Militärpass Okko Fleetjer - an der Westfront und später beim "Inselwacht-Bataillon."